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Leicht gekürzte Originalfassung eines für die Zeitschrift "VolksschulFit", Wien, Nr. 1/Frühjahr 2008 verfassten Beitrags

Den Fußball lesen

Dem Fußball kann niemand entrinnen – schon gar nicht jetzt, im Vorfeld der Europameisterschaft. Ich will ihm auch gar nicht entrinnen, weil mich das Fußballspielen seit meiner Kindheit fasziniert. Auf vieles in seinem unmittelbaren Umfeld kann ich gern verzichten – auf die Geschäftemacherei mit TV-Rechten, auf das Hinauflizitieren von Fußballer-Gehältern und Ablösesummen in astronomische Höhen, auf die Gewaltbereitschaft mancher Fangruppen …
Aber das Fußballspiel als solches bleibt faszinierend, vor allem, wenn man selber auf dem Platz steht. Man muss aufmerksam bleiben. Die Situationen wechseln schnell. Die Mannschaftsformationen greifen ineinander: Stürmer werden plötzlich Verteidiger, Abwehrspieler stürmen. Fußball fordert und fördert Kondition und Ausdauer, körperlich und geistig. Und es gibt beim Fußball keine „Einzelsieger“: Selbst die besten Spieler müssen eingepasst bleiben ins Mannschaftsgefüge, wenn sie Erfolg haben wollen. Die Aufgaben und Begabungen ergänzen sich im Spiel.
Das alles sind natürlich Dinge, die man nicht nur auf dem Fußballfeld braucht – Dinge, die von klein auf wichtig sind: Teamgeist, Gemeinschaftssinn, miteinander geteilte Freude beim Erfolg, geteiltes Leid in der Niederlage. Verlieren lernen ist schwer, aber wichtig – das sage ich aus eigener bitterer, vom Ehrgeiz des Gewinnenwollens geprägter Erfahrung! Die Freude an der sportlichen Bewegung, am Spiel sollte immer im Vordergrund stehen, vor allem beim Kinderfußball.

Auch ich selbst habe als Kind zu spielen begonnen, gemeinsam mit meinen Brüdern, auf einer Wiese in der Nähe unserer Wohnung. Wir waren fast jeden Nachmittag dort, auch andere Buben kamen Tag für Tag, der Fußball gehörte ganz selbstverständlich zu unserer Freizeitgestaltung. Wir lernten, individuellen Ehrgeiz und gemeinschaftliches Bemühen in Einklang zu bringen, Gruppengefüge aufzubauen. Wir lernten Ausdauer: Wenn man nicht aufgibt, sahen wir, hat man immer wieder eine Chance, selbst wenn das eigene Team bereits mit einigen Toren in Rückstand liegt. Auch als Erwachsener habe ich noch oft auf dieser Wiese gespielt, meist in generationenübergreifenden Teams von Jugendlichen bis hin zu Fünfzigjährigen.
Bei meinen Lesungen in Schulen und Büchereien komme ich anhand eigener Gedichte, Lieder oder Geschichten immer wieder mit den zuhörenden Kindern ins Gespräch, auch über das Thema Fußball. Interessant und erfreulich finde ich es, dass seit einigen Jahren immer mehr Mädchen Fußball spielen. Diese Tatsache hat neben vielen selbst erlebten Spielszenen Eingang in mein Buch Wir bleiben am Ball! gefunden. Manchmal, wenn ich in einer großen Pause mit Schulkindern im Freien bin, passen wir dort einen Ball hin und her. Und ich kann mich noch sehr gut an jene Schreibwerkstatt in St. Lorenzen am Wechsel erinnern, wo wir nach dem Nachdenken, Phantasieren und Schreiben auf dem Schulsportplatz ein richtiges Match auf zwei kleine Tore gemacht haben – auch der Schuldirektor hatte sich seinen Trainingsanzug angezogen und war mit Feuereifer dabei!

Seit kurzer Zeit taucht in der Sportberichterstattung ein Ausdruck immer wieder auf: ein Spiel lesen können. Das empfinde ich als ein schönes und treffendes Bild. Die Mannschaften auf dem Spielfeld haben eine bestimmte Struktur, wie ein Text: Es gibt die Abwehrzeile, die Mittelfeldzeile, die Angriffszeile, könnte man sagen. Diese Zeilen verschieben sich, verschränken sich mit jenen des gegnerischen Teams, verwirren sich manchmal, werden dann wieder klarer erkennbar. Es ist wie im sonstigen Leben oft nicht leicht, den Überblick zu behalten, den Aufbau zu erkennen. Dieses spielerische, soziale „Lesenlernen“ halte ich für eine wichtige Aufgabe, zu der die Schule einen wertvollen Beitrag leisten kann.
Manchmal sind gerade Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund besonders gute FußballspielerInnen, sie bringen auf dem Spielfeld ausgezeichnete Leistungen – hier bietet sich die Möglichkeit einer Selbstwerterfahrung, die wir nicht geringschätzen sollten. Auch das Ansehen in der Klassengemeinschaft kann sich dadurch festigen: Wir gehören zusammen, im Klassenzimmer und auf dem Sportplatz!

Übrigens gibt es seit Mai 2006 auch ein österreichisches Autoren-Fußballnationalteam. Damals wurden wir von den ungarischen Schriftstellern, die schon seit Jahren gemeinsam erfolgreich Fußball spielen, zu einem Match herausfordert – und haben hoch verloren. Doch diese Niederlage hat unseren Ehrgeiz geweckt. Wir haben trainiert, Testspiele abgehalten, einander besser kennengelernt, auf und neben dem Spielfeld. Und wir haben die vier darauffolgenden Länderspiele dann alle gewonnen …

 

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