Aus der Rede von Renate Welsh anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Kinderlyrik am 10. 12. 2001 im RadioKulturhaus, Wien
Österreichischer Staatspreis für Kinderlyrik
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Preisträger, liebe Freundinnen und Freunde! Ich darf ganz herzlich gratulieren und die Laudatio auf Georg Bydlinski und Gerald Jatzek halten. Das kann nicht schwer sein, dachte ich. Werch ein Illtum! Leicht wäre es, meine Lieblingsgedichte vorzulesen, aus den vielen, die sie geschrieben haben. Aber ich sollte doch ein paar Worte darüber sagen, warum es mich besonders freut, dass gerade diese beiden heute den Kinderlyrikpreis bekommen. Wer bezweifelt, dass Lyrik für Kinder wichtig ist, muss nur auf einem Schulhof, auf einem Spielplatz hinhören, wie begeistert Kinder auch heute noch Verse zu ihren Spielen skandieren, sie zurechtlutschen und sich zu Eigen machen, aber auch, wie konzentriert sie zuhören können, wenn sie Gedichte vorgelesen bekommen und zwar durchaus auch dann, wenn ihnen nicht jedes Wort bekannt und vertraut ist. Ich bin überzeugt, dass gerade Lyrik dem Verstehen neue Räume erschließen kann. So kann sie auch entscheidend mithelfen, die eigene Sprache in Besitz zu nehmen – was keineswegs heißen soll, dass ich Lyrik nur als Mittel zum Zweck verstehe, ganz im Gegenteil.
Die Preisträger haben einiges gemeinsam: beide haben eine starke Beziehung zur Musik, singen ihre Gedichte auch zur Gitarre, beide sind ausgezeichnete Lyrik-Übersetzer, beide haben Gedichte für Kinder und für Erwachsene geschrieben, beide haben einen ausgeprägten Sinn für Humor und Wortwitz, beide stehen auf Seiten der Kinder. Aber hier enden die Übereinstimmungen, denke ich, sie kommen für mein Gefühl – und ich bin keine Germanistin, kann also nur von meinem Gefühl sprechen – aus unterschiedlichen Traditionen und öffnen auf unterschiedliche Weise die Türen zu diesen Traditionen für Kinder, aber auch für vor- und mitlesende Erwachsene.
Ich erinnere mich gerne an Georg Bydlinskis schöne Übertragungen indianischer Texte gemeinsam mit Käthe Recheis, besonders deutlich an den ersten Titel, »Weißt du, dass die Bäume reden« mit der Melodie seiner Sprache. Mir scheint ja überhaupt, dass Georg Bydlinskis Gedichte vor allem von der Melodie der Sprache leben und das Eigenleben der Dinge feiern. Viele laden zum Mitmachen ein, zum Weiterdichten oder auch zum Übersetzen in Tanz und Pantomime, zum Theaterspielen und Improvisieren. Sie sind getragen von der Sehnsucht nach einer Welt, in der die Beziehungen zwischen Menschen und die Beziehungen zur Natur behutsam und liebevoll sein können; manchmal meine ich, hinter den Zeilen den Anlass aus seinem eigenen Leben mit Frau und Söhnen hervorblitzen zu sehen. Die Kindergedichte laden oft ein zum Kuscheln und Träumen. Sie behaupten nicht, dass diese Welt die beste aller möglichen ist, aber sie halten für möglich, dass sie es werden könnte.
Was die Melodie für Georg Bydlinski ist der Rhythmus der Sprache für Gerald Jatzek. Er spielt mit Rhythmen wie ein Schlagzeuger, der sein Metier versteht, er sucht – und findet – eine Waffe gegen das, „was nicht zu ändern ist“, aber nach Veränderung schreit, in Wortspiel und Sprachwitz, in der sinnstiftenden Kraft von Nonsense. Seine Kritik kommt nie moralisch aufgerüstet daher, es ist "das schöne gelle Lachen", mit dem er sich wappnet. Beim Lesen seiner Texte fiel mir auf, dass Nonsense die Beschwörungskraft alter Zauberformeln geerbt hat und der Magie eng verwandt ist. Brecht´sche Kritik an den Zuständen, wie sie sind, und Freude am schieren Unsinn gehen eine höchst vergnügliche und zum Denken anregende Verbindung ein, die Sprache wird gerüttelt und geschüttelt, bis sich neue Möglichkeiten eröffnen.
Gedichte können Zauberformeln werden gegen viele Arten von Angst, und dass es so viele verschiedene Gedichte gibt, lässt uns hoffen, dass viele Menschen ihre eigene Beschwörungsformel finden können. Auch darum freue ich mich, dass ihr beide bestätigt werdet durch diesen Preis, und gratuliere euch sehr herzlich!